Die neue Scheibe spielte die Berliner Sängerin in ihrer Heimatstadt ein, und es zeigt sie im intimen Dreierformat, mit dem sie um die Jahrtausendwende begann: Stimme, Klavier, Kontrabass – so sparsam tritt sie an, dies aber mit neuen Gesichtern. Der schwedische Pianist Jacob Karlzon sammelte seine gesangsbegleiterische Erfahrung bei Viktoria Tolstoy und hat längst ein eigenes Trio, und der dänische Bassist Andreas Lang ist auf der Berliner Jazzszene eine feste Größe. Der Verzicht auf einen Drummer signalisiert bereits: Hier geht es um Reduktion, Nähe, Atmosphäre.
Und die Atmosphäre ist, wie der Titel sagt, „blue“, also melancholisch bis trübsinnig; die zehn Songs „borrowed“, sprich: Sie stammen aus anderleuts Repertoire und sind höchst unterschiedlicher Herkunft, von Standards über Soul und Country bis Pop. Die Berlinerin aber macht sie sich zu eigen und findet immer einen persönlichen Ton. Ihre Stimme hat etwas Mädchenhaftes, in den Country-Songs von Patsy Cline oder Hank Williams gar etwas Plärrendes mit Kiekser, dafür wird Gershwins „My Man’s Gone Now“ (aus „Porgy and Bess“) bei ihr zum berührenden Klagegesang. Der Höhepunkt ist auch ein Gipfel an Understatement. Er liegt ungefähr in der Mitte des Albums und dauert 2¾ Minuten: Bill Withers’ innige Soulnummer „Grandma’s Hands“. Die Sängerin beginnt a cappella, um sich dann allein vom Kontrabass begleiten zu lassen. Sparsamer geht’s nicht, dennoch herrscht ein unwiderstehlicher Groove.
Berthold Klostermann